Ehrenrunde
Die Fensterscheibe, an die das Kind seine Stirn presst ist angenehme kühl. Es fühlt sich gut an, wie die glatte Oberfläche auf die Haut drückt. Da wo der Mund ist und der Atem des Kindes die Scheibe erreicht, kondensiert er zu Wasser. Gleich, gleich, kann das Kind in diesen Atemnebel malen oder schreiben. Doch noch kann es sich nicht bewegen. Es starrt hinaus auf die ruhige Straße, durch die am morgen nur gelegentlich ein Auto fährt. Das Kind stellt sich vor, wie hinter den anderen Scheiben, andere Kinder am Frühstückstisch sitzen und gleich von der Mutter in die Schule geschickt werden. Wie jeden Morgen hat das Kind auch gefrühstückt mit ihm. Er hat dann den Schlips umgebunden, die Aktentasche genommen und ist nach unten gegangen, um das Auto aus der Garage zu fahren. Seitdem steht das Kind am Fenster. Es dauert ihm einen Tick zu lange, bis es hört, dass das Garagentor geöffnet wird, das Auto anspringt und dann langsam auf die Straße hinausgefahren wird. Dann steigt er aus und schließt das Tor, geht zurück zum Auto und fährt los. Er winkt dem Kind zu und das Kind winkt zurück. Nach einem kurzen Moment kommt das Auto wieder zurück, hat in der nächsten Kreuzung gewendet. Beide lachen und winken sich noch einmal zu. Eine Ehrenrunde sagen sie dazu. Das Kind kennt die Bedeutung dieses Wortes noch nicht. Weiß nicht, dass normalerweise der Sieger eine solche Ehrenrunde läuft, um die Ovationen des Publikums entgegenzunehmen. Für das Kind hört es sich so an, dass es selbst gefeiert wird. Denn nur wegen ihm wie die Ehrenrunde gefahren. Dass sich da vielleicht auch einer feiern lässt, kommt ihm nicht in den Sinn.
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Last update: 2014.01.21, 15:40 status
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